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Lieblingswörter
 
Stories 8, 23.02.2024
Inspiration

Lieblingswörter – ein Begriff, eine Geschichte.

Manchmal stolpert man beim Lesen über ein Wort und schon poppt in Gedanken eine komplette Geschichte auf. Sei es, weil die bislang unbekannte Formulierung etwas zusammenfasst, was man seit langem kennt. Oder weil sie eine neue Geschichte erzählt, die man sofort adoptiert. Unsere aktuellen Lieblingswörter sind:

#16 «Komorebi»

Das japanische Wort «Komorebi» beschreibt das zauberhafte Spiel von Lichtstrahlen, die durch Blätter fallen und den Boden mit einem Muster aus Licht und Schatten malen. Es steht für die flüchtige Schönheit des Augenblicks und die tiefe Verbindung zur Natur, die in der japanischen Kultur so wertvoll ist. In der deutschen Sprache gibt es kein exaktes Äquivalent für «Komorebi», was die Einzigartigkeit kultureller Ausdrücke unterstreicht. Bei Bühler & Bühler lieben wir solche sprachlichen Schätze, die uns an die einfachen, doch erstaunlichen Wunder um uns herum erinnern. «Komorebi» ist nicht nur ein visuelles, sondern auch ein emotionales Erlebnis, das uns einlädt, die Schönheiten des Lebens zu schätzen und im Hier und Jetzt präsent zu sein. Es lehrt uns, Licht zu sehen und zu fühlen – ein wahres Lieblingswort für alle, die sich für die Poesie der natürlichen Welt begeistern.

 

#15 «Moment»

Er ist das Chamäleon unter den Zeiteinheiten: Eine gefühlte Ewigkeit, wenn unser Gegenüber uns bittet, eben kurz so lange zu warten. Nicht länger als ein Wimpernschlag dagegen, wenn es um den letzten gemeinsamen Augenblick vor dem Abschied von einem geliebten Menschen geht. Anscheinend kennt nur Seymour Skinner, Rektor an der Grundschule von Bart und Lisa Simpson in Springfield, seine genaue Länge. Wirklich? Nein: Ein Blick in die Bibliothek des bayerischen Klosters St. Emmeram klärt uns auf: «Eine Woche hat sieben Tage, 169 Stunden [richtig wären 168], 672 puncta, 1680 minuta, 6720 momenta» lesen wir auf einer Handschrift mit der Darstellung von Zeitmassen aus dem 9. Jahrhundert. Kurz den Taschenrechner gezückt: 6720 Momente geteilt durch 168 Stunden macht 40 Momente pro Stunde.  Ein Moment dauerte im Mittelalter also anderthalb Minuten.

 

 

Hurkle-Durkle

 

#14 «Hurkle-Durkle»

Gemütlich mit allenfalls minimalen Spuren von schlechtem Gewissen im warmen Bett liegenbleiben, wo man doch eigentlich schon längst aufgestanden sein sollte –  ein wunderbares Gefühl, für das es ein ebenso wunderbares Wort gibt: Mit «Hurkle-Durkle» bezeichnete man in Südschottland schon vor über 200 Jahren das innere Ringen zwischen dem Ruf der Pflicht und dem Komfort des Bettes. Die Wurzel dieses nach dem bekannten Muster von Reimpaaren wie artsy-fartsy oder easy-peasy gebildeten Wortes findet sich höchstwahrscheinlich im alten schottischen Verb «hurkle» oder «hurkill», was so viel bedeutet wie die Gliedmassen nahe an den Körper zu ziehen – ein Bild, das gut zu der Haltung passt, in der wir uns gemütlich im Bett zusammenkauern.

Silhouette

 

#13 «Silhouette»

Wir sind umgeben von Entdeckungen oder Erfindungen, die nach der Person benannt wurden, die sie gemacht haben: Adolphe Sax beispielsweise taufte das von ihm entwickelte Blasinstrument konsequenterweise «Saxophon». An Alfred Kärcher erinnert nicht nur der mit seinem Namen versehene Hochdruckreiniger, sondern auch ein dazugehöriges Verb namens «kärchern». Weniger ehrenhaft oder verdienstvoll ist die Bezeichnung für einen scherenschnittartigen Umriss, die wir dem sprichwörtlichen Geiz des Generalfinanzkontrolleur des französischen Königs Louis XV verdanken: Étienne de Silhouettes Plan der Besteuerung von Kirche und Adel sorgte wenig überraschend für seine sofortige Entlassung. Um es ihm heimzuzahlen, behaupteten über de Silhouettes Vorhaben empörte Kreise, er habe sein Schloss aus lauter Geiz nicht mit Gemälden, sondern mit billigen Scherenschnitten ausgestattet. Aus diesem hartnäckigen Gerücht entstand mit «Silhouette» eine neue Bezeichnung dieser damals als stillos geltenden Bildnisse. Später wurde der Name Silhouette ganz allgemein auf Schattenrisse übertragen. Heute verwenden wir ihn auch, um die charakteristischen Umrisse von Personen oder Dingen wie Sportwagen, Sneakers oder Trendfrisuren zu beschreiben. 

 

Taktgefühl

 

#12 «Taktgefühl»

Ob beim ersten Date, beim Bewerbungsgespräch oder während der Fahrprüfung: Es gibt Situationen, in denen man es unbedingt vermeiden sollte, aufs Smartphone zu schauen – ein Reflex, der so ähnlich auch schon in vordigitalen Zeiten verpönt war: In der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt es als äusserst unhöflich, während eines Gespräches die Taschenuhr zu zücken. Der aus Neuchâtel stammende Uhrmacher Abraham-Louis Breguet hatte daraufhin ein clevere Idee: Er entwickelte eine «taktile» Uhr, bei der man den Takt der Zeit mit den Fingerspitzen auf ertastbaren Zeigern und Stundenmarkierungen ganz diskret und höflich begreifen konnte, ohne hinzuschauen. Weil die Uhr dabei diskret in der Tasche blieb, bewies man Taktgefühl. Eine aufwendig mit Diamanten verzierte Tastuhr verkaufte Breguet übrigens am 18. Februar 1800 an eine Frau Bonaparte, die spätere Kaiserin Joséphine. 

Dreikäsehoch

#11 «Dreikäsehoch»

Als exakte Grössenangabe taugen drei übereinandergeschichtete Käselaibe kaum. Im Emmental wäre ein Dreikäsehoch je nach Käserei zwischen 48 und 91 cm und im Appenzell höchstens 45 cm hoch. Darum findet dieses Mass auch weniger in Ausweisdokumenten, sondern eher bei Märchenfiguren wie Däumlingen und Kobolden Anwendung. Wobei es selbst im Reich der Fantasie international unterschiedliche Masseinheiten gibt. Im französischen Sprachraum beispielsweise wird der Käse zu Obst: Schlümpfe sind nach Angaben ihres Schöpfers Peyo haut comme trois pommes, also drei Äpfel gross. Bei den Puffi, den italienischen Cousins der Schtroumpfs, kommt der Käse wieder ins Spiel: Sie sind alto come un soldo di cacio, also nur so gross wie die Scheibe Käse, die man für eine alte Münze von geringem Wert bekommt.
 

Vakanz

#10 «Vakanz» 

Eine komplett freie und herrlich leere Zeit: Das verspricht dieser aus dem lateinischen vacuus abgeleitete ursprüngliche Name der schulfreien Tage. In Frankreich, den Niederlanden, Polen oder den USA freuen sich die Menschen heute noch auf ihre vacances oder ähnlich klingende Zeiten des Reisens, Müssiggangs oder Regenerierens. So denkt Kommissar Maigret in einem der Romane von George Simenon an lustvolles Ausschlafen während der Sommerfrische an der Atlantikküste: «Les vacances, c'était la grasse matinée». Unsere «Ferien» dagegen sind geregelt (zumindest gesetzlich), im Umfang feststehend und müssen geplant werden. Im hochdeutschen «Urlaub» steckt sogar noch die Erlaubnis (urloup), die der Lehnsherr dem Ritter für das Fernbleiben erteilen musste. Wäre ein wenig Vakanz nicht einfach viel unbeschwerter?


Hundstage

#9 «Hundstage»

Jeden Tag radelte Florence Welch in London an einer grossen Installation des Schweizer Künstlers Ugo Rondinone vorbei: «Dog Days Are Over» stand da in regenbogenfarbenen Lettern an der Wand. Die Worte entwickelten sich zum musikalischen Versprechen darüber, was geschieht, wenn die Hundstage vorbei sind. Im Jahr darauf eröffnete der gleichnamige Song das Debütalbum ihrer Band Florence and the Machine. Mehr als dreissig Tage braucht das namensgebende Sternbild des Grossen Hundes, bis es vollständig aufgegangen ist. Sein Hauptstern Sirius glüht mit einer Temperatur von unvorstellbaren 9726.85 °C beinahe doppelt so heiss wie die Sonne. Da verwundert es nicht, dass die «Hundstage» vom 23. Juli bis zum 23. August seit der Römerzeit in vielen Sprachen gleichbedeutend mit den heissesten Wochen des Jahres sind – selbst wenn das Sternbild wegen der Taumelbewegung unseres Planeten hierzulande mittlerweile erst um den 30. August aufgeht. Aber in etwa 23'000 Jahren finden die Hundstage auf der Erde wieder parallel zu denen am Nachthimmel statt.
 

 


Abrakadabra

 

#8 «Abrakadabra»

Wenn wir etwas Beängstigendes benennen können, gibt uns das eine gewisse Macht über das zuvor Namenlose. Diesen Gedanken nutzt die moderne Psychologie zur Behandlung von Angststörungen. Seit Urzeiten ist er Teil magischen Denkens: Die Bedrohung vor dem Raub ihres Kindes nachts aus dem Zimmer verschwindet in dem Moment, da die Müllerstochter im Märchen den Namen von Rumpelstilzchen ausspricht. Welche Kraft Menschen dem Formulieren von zuvor nur Gedachtem zuschreiben, zeigt eine Erklärung des sprichwörtlichen Zauberspruches «Abrakadabra». Im Aramäischen bedeutet avrah k'davra: «Ich werde erschaffen, während ich spreche.»

 


Txirimiri

 

 

#7 «Txirimiri»

Meteorologen kennen im Deutschen genau zwei Formen von nichtgefrorenem Niederschlag: Regen und den feineren Nieselregen. Menschen, die an (eher kühleren) Küsten leben, scheinen dagegen eine besondere Beziehung zur Benennung von Regen in all seinen Formen zu haben. «Txirimiri» heisst auf Baskisch die Sorte, deren Tröpfchen mit blossem Auge kaum erkennbar sind und einen dennoch mit der Zeit durchnässen. Das Wort ahmt das beinahe unhörbar feine Geräusch dieses zwischen San Sebastian und Bilbao häufigen Niederschlags nach. Die Bezeichnung Nieselregen jedenfalls wird dem Txirimiri nicht gerecht. Der ist eher so etwas wie durchsichtiger Nebel, der ganz langsam zu Boden fällt.

 

Pelicanist

#6 «Pelicanist»

Am 24. Juni 1947 kam es im US-Bundesstaat Idaho zur ersten Beobachtung unbekannter Flugobjekte nach dem 2. Weltkrieg durch den Privatpiloten Kenneth Arnold. Der verglich ihre Flugweise mit der von Untertassen, die über eine glatte Wasserfläche springen. Da die von ihm geschätzte irrwitzige Geschwindigkeit der fliegenden Untertassen, umgerechnet etwa 2000 km/h, damals noch undenkbar war, wurde nach natürlichen Erklärungen gesucht: Keine fliegenden Ausserirdischen habe Arnold gesehen, sondern rasende Wolkenformationen, ferne schneebedeckte Gipfel oder Regentropfen auf seinem Cockpitfenster. Eine ornithologisch eher unwahrscheinliche Lösung des Rätsels gab den fantasievollsten unter den UFO-Ungläubigen ihren Namen. Die behaupteten nämlich, es habe sich um nichts anderes als einen Schwarm Pelikane gehandelt.

 

Petrichor

#5 «Petrichor»

Beim Spazieren durch den Regen geht dieser besondere Geruch, wenn Tropfen auf steinige oder ausgetrocknete Erde fallen, sofort in die Nase. Australische Forschende schufen dafür die Bezeichnung, die sich aus den griechischen Wörtern für Stein («petros») und dem Blut der Götter («ichor») zusammensetzt. Der Duft entsteht, wenn bestimmte Pflanzenöle und ein in der Erde vorkommender Alkohol namens Geosmin durch den Regen gelöst werden. In einer Folge der Kultserie «Dr. Who» wird Petrichor zum entscheidenden Teil eines telepathischen Passwortes: Nicht der Name, sondern die lebendige Erinnerung an diesen Geruch öffnet dem Doctor und seiner Begleitung Amy im allerletzten Augenblick eine rettende Tür.

 

Smultronstället

#4 «Smultronstället»

So heisst in Schweden ein Platz, an dem Walderdbeeren («smultron») wachsen. Hierhin kehrt der Hauptdarsteller in Ingmar Bergmanns gleichnamigem Film (Deutsch «Wilde Erdbeeren») zurück und begegnet im Tagtraum seiner Jugendliebe wieder, die dort diese Früchte sammelt. Jeder Mensch hat seinen ganz persönlichen smultronstället: einen einmal für sich entdeckten Ort der Träume, der an Ruhe und Geborgenheit erinnert. Dass es dort Walderdbeeren gibt, ist nicht unbedingt erforderlich. Es kann auch ein zu diesem Ort gehörender Wein, ein unvergleichlicher Geruch oder das Gefühl von Wind im Gesicht sein.

 

Treppenwitz

#3 «Treppenwitz»

Du bist in einer kniffligen Situation. Sagen wir ein Bewerbungsgespräch oder Ideenpitch. Dein Gegenüber stellt eine Frage. Und zwar eine, die nicht unbedingt Information sucht, sondern dich aus dem Konzept bringen will. Es gelingt. Eben noch die Eloquenz in Person, fängst du an zu stottern oder verstummst komplett. Die richtige, pointierte, entwaffnende und lässig humorvolle Antwort fällt dir natürlich erst beim Rausgehen auf der Treppe ein. Erfunden hat den Treppenwitz ein Franzose. Vom «esprit de l’escalier» schrieb Denis Diderot vor mehr als zwei Jahrhunderten.

 

Rallienglanti

#2 «Rallienglanti»

Hierzulande würden wir es wohl «Springreiterenglisch» nennen. Aber «Rallienglanti», also «Rallye-Englisch», versteht in Finnland jedes Kind. Beziehungsweise eher nicht. Und auch die Interviewpartner:innen der Rallyefahrenden aus dem Norden sind häufig ratlos, was genau und in welcher Sprache gerade gesagt wurde. Wie aber feinstes Englisch lernen, wenn man seinen Lebensunterhalt mit Powerslides und 90°-Kurven verdient und dummes Zeug gefragt wird?

 

Chanter en yaourt

#1 «Chanter en yaourt»

Wer hat es nicht getan – vor dem Spiegel in die Mikrofonbürste singend, plötzlich fliessend in einer bis dahin unbekannten Sprache. In Frankreich, wo das Beherrschen von Fremdsprachen grundsätzlich Sache von Fremden und Tourist:innen ist, nutzt man diese Sprache tatsächlich professionell. Französische Musikproduzenten versehen Songs für den internationalen Markt zu Beginn häufig mit pseudoenglischen Texten. Hauptsache es passt gut zur Melodieführung. Angeblich werden aus den Joghurtgesängen später einigermassen richtige englische Texte.